IW-Report: Mütter haben unterschiedliche Erwerbswünsche und erwerbsbezogene Normen
In den letzten 20 Jahren hat sich das Rollenbild der Mütter in Deutschland sehr stark gewandelt, wie eine Auswertung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zeigt. Wollten im Jahr 1998 noch 26,3 Prozent der Frauen im Alter zwischen 25 und 54 Jahren mit minderjährigen oder volljährigen Kindern keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, lag dieser Anteil im Jahr 2018 nur noch bei 12,4 Prozent. Gleichzeitig ist im letzten Jahrzehnt auch eine starke Tendenz weg von der kleinen Teilzeit mit weniger als 20 Stunden in der Woche und hin zur Vollzeit oder vollzeitnahen Teilzeit zu beobachten. Allerdings unterscheiden sich die Erwerbswünsche je nach sozioökonomischem Hintergrund stark.
So wollten Mütter ohne berufsqualifizierenden Abschluss im Jahr 2018 mit 25,4 Prozent mehr als dreimal so häufig keiner Erwerbstätigkeit nachgehen wie Mütter mit Hochschulabschluss mit 8,0 Prozent. Ebenso findet sich ein derartiges traditionelles Rollenbild auch bei zugewanderten Müttern und Müttern mit drei und mehr Kinder besonders oft. Auch wollen Mütter mit gutverdienenden Partnern unter sonst gleichen Bedingungen häufiger in Teilzeit und seltener in Vollzeit arbeiten. Überdies zeigt sich auch über ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung noch ein so starkes Ost-Westgefälle, dass die Anforderungen an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als strukturell unterschiedlich einzustufen sind.
Betrachtet man die im SOEP ebenfalls erhobenen Einschätzungen der Mütter dazu, ob Männer und Frauen möglichst gleich viel erwerbstätig sein und sich um Haushalt und Familie kümmern sollten sowie ob Kinder im Alter unter drei und unter sechs Jahren unter einer Erwerbstätigkeit der Mütter leiden, wird deutlich, dass sich nicht nur die Erwerbswünsche, sondern auch die erwerbsbezogenen Normen der Mütter stark unterscheiden. So lehnen Mütter mit gutverdienenden Partnern eine gleiche Aufgabenteilung unter sonst gleichen Bedingungen besonders häufig ab und Mütter ohne berufsqualifizierenden Abschluss, zugewanderte Mütter und Mütter mit drei und mehr Kindern sehen sie besonders häufig im Hinblick auf das Wohlergehen kleinerer Kinder als kritisch an.
Auch wenn die Lage dieser Mütter im öffentlichen Diskurs wenig präsent ist, muss die Familienpolitik auch hier unterstützende Maßnahmen anbieten. Wichtig ist zunächst, dass sie für die Risiken der von ihnen gewählten Erwerbsbiografien im Falle der Trennung und des Todes oder der unerwarteten Arbeitslosigkeit des Partners sensibilisiert werden. Zudem sollte die Familienpolitik bei der Gestaltung finanzieller Anreize für eine stärkere Erwerbsbeteiligung der Mütter die Vielfalt der Lebenswirklichkeiten der Familien im Blick behalten und diese nicht, wie beim Konzept der Familienarbeitszeit, nur auf sehr spezifische Erwerbskonstellationen ausrichten, sondern möglich breit anlegen. Dabei ist auch zu beachten, dass zunächst die bestehenden Hemmnisse abgebaut und insbesondere die Betreuungsangebote tatsächlich bedarfsgerecht ausgebaut werden müssen. Dies hilft den Müttern mit älteren und erwachsenen Kindern allerdings wenig, die meist ebenfalls nur in beschränktem Umfang einer Erwerbstätigkeit nachgehen wollen. Hier wären weitergehende wissenschaftliche Untersuchungen notwendig, um festzustellen, wie sich ihr mit Blick auf die Fachkräftesicherung bedeutendes Potenzial für den Arbeitsmarkt heben lässt.
IW-Report: Mütter haben unterschiedliche Erwerbswünsche und erwerbsbezogene Normen
Quelle: IW Köln, 11. August 2021