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WZB-Studie: Arme Kinder, schlechte Schulen

Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) hat am Beispiel von Berlin untersucht, wie die soziale Mischung an einer Schule und deren Qualität zusammenhängen.

Lehrermangel, Unterrichtsausfall, Vertretungsstunden – mit diesen Problemen kämpfen in Berlin besonders Schulen in sozialen Brennpunkten. Obwohl schon lange zusätzliche Mittel an Schulen fließen, in denen besonders viele Kinder aus einkommensschwachen Haushalten lernen, ist die Qualität dieser Schulen messbar schlechter als die von Schulen mit einer günstigeren sozialen Zusammensetzung. Das zeigt eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), die am Beispiel von Berlin untersucht hat, wie die soziale Mischung an einer Schule und deren Qualität zusammenhängen.

Die Autoren Marcel Helbig (WZB) und Rita Nikolai (Humboldt-Universität zu Berlin) kommen zu dem Schluss, dass gerade die sozial benachteiligten Schulen unter den schwierigsten Bedingungen arbeiten. Um die soziale Lage einer Schule zu bestimmen, wird der Anteil der Schüler ermittelt, die von den Lernmitteln befreit sind. Die Lernmittelbefreiung dient als Indikator für Einkommensarmut der Eltern. Die Schulqualität untersuchte das Forscherteam anhand von vier Merkmalen: dem Lehrermangel, der sich in der Unterrichtsabdeckung widerspiegelt, dem Unterrichtsausfall, dem Anteil an Vertretungsstunden sowie dem Anteil von Quereinsteigern am Lehrkörper. Erstmals wurden auch die Schulinspektionsberichte einbezogen, die die pädagogische Qualität des Unterrichts bewerten. Die verwendeten Daten stammen aus den Schuljahren 2010/11 bis 2016/17.

Für die Unterrichtsabdeckung zeigt die Studie zum einen, dass nur rund die Hälfte der Schulen eine Unterrichtsabdeckung von 100 Prozent erreicht – die Zahl der Lehrkräfte also dem entspricht, was rechnerisch für den Unterricht an einer Schule benötigt wird. Zum anderen wird deutlich, dass die Unterrichtsabdeckung vor allem an den Grundschulen mit der sozialen Lage zusammenhängt. So erreichen bei sozial privilegierten Grundschulen (unter 10 Prozent lernmittelbefreiter Kinder) 55 Prozent eine 100-prozentige Unterrichtsabdeckung, bei sozial benachteiligten (ab 50 Prozent lernmittelbefreiter Kinder) nur 35 Prozent.

Mit einer schlechter werdenden sozialen Zusammensetzung an einer Schule steigt auch der Anteil der Schulstunden, die nicht von der regulären Lehrkraft unterrichtet werden. So müssen an sozial privilegierten Grundschulen knapp 10 Prozent aller Schulstunden vertreten werden, an Schulen mit 70 Prozent lernmittelbefreiter Schüler sind es 14,5 Prozent (siehe Grafik). „Wenn ein Lehrer eine Schulstunde vertreten muss, kann er selten dort ansetzen, wo seine Kollegin in der letzten Stunde aufgehört hat. Stunden, die vertreten werden müssen, können daher nicht so effektiv sein wie regulärer Unterricht“, sagt WZB-Forscher Marcel Helbig. Soziale Unterschiede bei den Ausfallstunden zeigen sich hingegen bei den Sekundarschulen. An sozial benachteiligten Schulen fallen 50 Prozent mehr Schulstunden aus als an sozial privilegierten Sekundarschulen.

Besonders ungleich sind die Quereinsteiger  – Lehrkräfte ohne abgeschlossene pädagogische Ausbildung – über die Berliner Grundschulen verteilt. So ist ihr Anteil an Schulen mit mehr als 70 Prozent Kindern aus armen Haushalten 2,3-mal so hoch wie an jenen, an denen nur jedes zehnte Kind von den Lernmitteln befreit ist (siehe Grafik).

Die vom Autorenteam ausgewerteten Schulinspektionsberichte zeigen vor allem für die Sekundarschulen, dass die Qualität des Unterrichts mit der sozialen Zusammensetzung der Schülerschaft korrespondiert. So schneiden Sekundarschulen mit vielen Kindern aus Familien, die staatliche Transferleistungen beziehen, schlechter ab – bei der Unterrichtsgestaltung, der Individualisierung von Lernprozessen, den Schulergebnissen und der Schulkultur, also der Beteiligung von Schüler*innen und Eltern.

Auffällig ist, dass gerade die Schulen, die den höchsten Anteil armer Kinder (70 Prozent und mehr) haben, nicht immer am schlechtesten abschneiden. Am ungünstigsten stellt sich die Situation eher an Schulen dar, deren Anteil lernmittelbefreiter Kinder zwischen 40 und 70 Prozent liegt. „Wir vermuten, dass die sozial am stärksten benachteiligten Schulen mehr Aufmerksamkeit und mehr Unterstützung durch Programme der öffentlichen Hand, aber auch der Zivilgesellschaft erfahren“, erklärt Rita Nikolai.

Die Ergebnisse haben nach Auffassung des Forscherteams über Berlin hinaus Bedeutung. In vielen Städten gibt es mittlerweile Schulen, an denen über die Hälfte der Kinder aus Haushalten kommen, die von staatlichen Transferleistungen leben. Anders als Berlin haben einige Bundesländer bislang keine Programme für die sogenannten Brennpunktschulen aufgelegt. Zudem liegt Berlin beim Lehrermangel vorne. „In den ostdeutschen Bundesländern werden in den nächsten 15 Jahren 60 Prozent aller Lehrer an allgemeinbildenden Schulen in Rente gehen. Ihre Stellen werden an Schulen in sozialen Brennpunkten, aber auch auf dem Land besonders schwer nachzubesetzen sein“, prognostiziert Marcel Helbig.

Marcel Helbig ist Professor für Bildung und soziale Ungleichheit am WZB und an der Universität Erfurt.

Rita Nikolai ist Heisenberg Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft am Institut für Erziehungswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.

Die Studie ist als WZB-Discussion Paper erschienen.

Marcel Helbig, Rita Nikolai: Bekommen die sozial benachteiligsten Schüler*innen die „besten“ Schulen? (PDF)

Quelle: WZB, 5. März 2019