Berufsausbildung ist kein Auslaufmodell: Studie der Hans-Böckler-Stiftung zu den "Folgen der Akademisierung der Arbeitswelt"
Mehr als jeder zweite Schulabgänger beginnt heute ein Studium. Naht deshalb das Ende der betrieblichen Ausbildung? Nein, sagen Uwe Elsholz, Roman Jaich und Ariane Neu in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Untersuchung. Die Sozialforscher haben sich anhand von 18 Fallstudien in der Metall- und Elektrobranche sowie im Einzelhandel und der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ein Bild von der Lage in den Betrieben gemacht. Ihr Fazit: Die Berufsausbildung ist keineswegs obsolet - auch wenn sie insbesondere in Form des dualen Studiums Konkurrenz bekommen hat.
Es sind häufig gar nicht die Unternehmen, die zur Akademisierung drängen, haben die Wissenschaftler beobachtet. Viele befragte Personalverantwortliche oder Betriebsräte geben an, es seien die Jugendlichen selbst, vor allem die leistungsstärkeren mit Abitur, die nach einem höheren Abschluss streben. Um für diese Gruppe attraktiv zu bleiben, bieten viele Unternehmen duale Studiengänge an – obwohl sie manchmal selbst nicht so recht wissen, ob sie künftig wirklich Bedarf an Fachkräften haben werden, die auch akademisch geschult sind.
Die klassische Berufsausbildung stellen die wenigsten Unternehmen infrage. Deren „Theorie-Praxis-Verhältnis sowie die umfassende berufliche Handlungskompetenz“, die dabei vermittelt werden, erfreut sich den Forschern zufolge aufseiten der Betriebe nach wie vor höchster Wertschätzung. Für alle drei untersuchten Branchen gilt außerdem: Sie ziehen die betriebsinterne Qualifizierung dem Anwerben von Fachkräften auf dem externen Arbeitsmarkt vor.
Das duale Studium bietet sich Unternehmen daher als Lösung an, um einerseits dem eigenen Interesse an einer Ausbildung im Betrieb und andererseits dem Wunsch junger Leute mit guten Schulabschlüssen nach höherer Bildung gerecht zu werden. Das wirft natürlich die Frage auf, ob die dual Studierten den Kollegen mit Berufsausbildung in Sachen Karrierechancen das Wasser abgraben. Darauf kann es laut Elsholz, Jaich und Neu keine eindeutige Antwort geben. Zu unterschiedlich sind die Befunde je nach Branche und Betrieb. Im Einzelhandel zum Beispiel konnten sie keine Verdrängungseffekte finden. Hier ergänzen sich die verschiedenen Ausbildungswege eher: In den Filialen dominiert weiter die betriebliche Ausbildung, in den Unternehmenszentralen gewinnt die akademische Ausbildung an Gewicht. In die Quere kommen sich die beiden Gruppen vermutlich erst auf höheren Stufen der Karriereleiter. So dürfte der Aufstieg zum Filialleiter weiterhin mit Berufsausbildung möglich bleiben, bei der Bewerbung zum Regionalleiter werden die Studierten aber im Vorteil sein.
Stärkere Verdrängungseffekte haben die Forscher in großen Unternehmen der Metall- und Elektro- sowie der IKT-Branche identifiziert. Hier geht das Angebot dualer Studiengänge teilweise zulasten der Berufsausbildung. Im Einzelfall spielen dabei ganz unterschiedliche Faktoren eine Rolle. So halten Unternehmen mit deutschen Eigentümern eher an der Berufsausbildung fest, Amerikaner setzen stärker auf Akademisierung. Auch die Unternehmensstrategie ist entscheidend: Wo der Schwerpunkt auf heimischer Qualitätsproduktion liegt, wird die nicht-akademische Ausbildung oft favorisiert; geht die Tendenz allerdings dahin, sich in Deutschland auf Forschung und Entwicklung zu konzentrieren und die Fertigung ins Ausland zu verlagern, kommen eher duale Studienangebote zum Zuge.
Uwe Elsholz, Roman Jaich, Ariane Neu: Folgen der Akademisierung der Arbeitswelt, Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 401, September 2018
Quelle: Hans-Böckler-Stiftung