Halbjahresbilanz des Ausbildungsmarktes in NRW: Es reicht bei weitem noch nicht
Mehr Bewerberinnen und Bewerber, weniger Ausbildungsstellen als vor einem Jahr: Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage am NRW-Ausbildungsmarkt klafft nach wie vor auseinander. 104.113 Bewerbern stehen 86.121 Ausbildungsplätze gegenüber - NRW weist auf dem deutschen Ausbildungsmarkt aus Bewerbersicht die ungünstigste Bilanz aus.
Das Berufsberatungsjahr läuft jeweils von Oktober bis Ende September des Folgejahres. Entsprechend wird im März die Halbzeitbilanz gezogen. Die Zahlen des Ausbildungsmarktes in NRW zeigen Handlungsbedarf auf. Seit dem Oktober 2016 kamen 104.113 Bewerberinnen und Bewerber auf die Agenturen für Arbeit zu, die eine betriebliche Ausbildung absolvieren wollen. Das sind 1.383 junge Menschen oder 1,3 Prozent mehr als im März des vergangenen Jahres. Die NRW-Ausbildungsbetriebe meldeten im gleichen Zeitraum 86.121 freie Ausbildungsplätze, ein Rückgang um 1.108 Stellen oder 1,3 Prozent weniger. Im Vergleich der vergangenen fünf Jahre ist dies zu diesem Zeitpunkt jedoch der zweithöchste Wert.
„Die gemeldeten Ausbildungsplätze in NRW reichen bei weitem nicht aus. Um allen Jugendlichen in unserem Land eine Chance auf Ausbildung zu eröffnen, sind deutlich mehr Ausbildungsplätze erforderlich. Hier appelliere ich an die Unternehmen, den Agenturen für Arbeit alle freien Ausbildungsplätze zu melden“, sagte Torsten Withake, Geschäftsführer Arbeitsmarktmanagement der NRW-Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit: „Die Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber hat sich weiter erhöht. Es gelingt uns immer mehr, Jugendliche mit hohen Bildungsabschlüssen und auch Studienabbrecher für die duale Ausbildung mit ihren Entwicklungsmöglichkeiten zu interessieren.“
Während die Zahl der Bewerber mit Hauptschul- und Realschulabschluss demografisch bedingt zurückgeht, steigt die Zahl der Ausbildungsplatzsuchenden mit Hochschulreife weiter an. Der Anteil der jungen Leute mit Fachhoch- und Hochschulreife erhöhte sich bei 35.927 Bewerbern von 34 Prozent auf 34,5 Prozent.
Mehr Bewerber als Ausbildungsplätze
Weiterhin weist NRW von den deutschen Bundesländern die ungünstigste Bilanz auf. Lediglich in den Bundesländern Berlin und NRW übersteigt die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber die Zahl der angebotenen Ausbildungsstellen.
Von den 104.113 Bewerberinnen und Bewerbern gelten 43.870 als versorgt, 60.243 Bewerberinnen und Bewerber suchen weiterhin ihren Ausbildungsplatz, dies sind 1.486 Menschen oder 2,5 Prozent mehr als im März 2016.
Von den seit Oktober gemeldeten 86.121 Ausbildungsstellen sind 779 außerbetriebliche Ausbildungsstellen, 371 oder 32,3 Prozent weniger als im Vorjahr. 53.067 dieser Ausbildungsplätze sind noch nicht besetzt, das sind 1.440 mehr als im März 2016.
Betrachtet man das gesamte Angebot der Berufsausbildungsstellen und vergleicht es mit allen gemeldeten Bewerberinnen und Bewerber stehen pro 100 Bewerber 83 Ausbildungsstellen zur Verfügung. Vergleicht man die im März noch freien Ausbildungsstellen mit den noch suchenden Bewerberinnen und Bewerbern kommt man auf ein Verhältnis von 100 zu 88.
Regionale Unterschiede in NRW
Bis auf das Rheinland (-71; -0,2 Prozent) und das Münsterland (-10; -0,1 Prozent) weisen alle NRW-Regionen wachsende Bewerberzahlen aus. Die deutlichsten Bewerberzuwächse zeigen sich in Ostwestfalen-Lippe (14.128; + 5,1 Prozent) und im Ruhrgebiet (28.653 Bewerber; +2,0 Prozent).
Nach dem ersten Halbjahr zeigt sich lediglich in Ostwestfalen-Lippe eine Zunahme der gemeldeten Ausbildungsstellen. Mit 11.782 gemeldeten Ausbildungsplätzen liegt das Ausbildungsangebot um 163 oder 1,4 Prozent höher als vor einem Jahr. In allen anderen Regionen ist ein Rückgang der gemeldeten Ausbildungsplätze zu verzeichnen.
Entscheidend ist, ob das Angebot an Ausbildungsstellen die Nachfrage nach beruflicher Ausbildung abdeckt. Mit Blick auf das Land ist das lediglich im Münsterland und in Südwestfalen der Fall.
siehe Zusatzinformation: Grafik "Gemeldete Berufsausbildungsstellen je Bewerber"
Junge Menschen mit Fluchthintergrund kommen auf dem Ausbildungsmarkt an
Im ersten Halbjahr bescheinigten die Berufsberatungsteams der Agenturen für Arbeit in NRW 3.584 jungen Menschen mit Fluchthintergrund ihre Ausbildungsfähigkeit. Von diesen 3.584 Bewerberinnen und Bewerbern haben 178 junge Geflüchtete bereits einen Ausbildungsplatz gefunden.
„Bedenkt man die belastenden Erfahrungen dieser jungen Menschen, so sind 178 Ausbildungsverhältnisse ein erster Erfolg. Dahinter stehen Jugendliche, die nicht nur ihre Flucht verarbeiten, das Asylverfahren in Deutschland durchlaufen und Deutsch lernen mussten. Sie konnten auch Arbeitgeber von sich überzeugen. Weitere 3.584 junge Menschen haben bisher so gute Deutschkenntnisse erworben, dass unsere Fachkräfte in der Berufsberatung ihnen attestieren, Ausbildung und Berufsschule erfolgreich absolvieren zu können“, so Withake „Diese motivierten jungen Leute sind darauf angewiesen, dass die Unternehmen ihnen eine Chance geben. Viele Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt und ich möchte die Unternehmen in NRW an die gemeinsame Verantwortung an dieser Stelle erinnern. Manche Arbeitgeber erkennen das Potential dieser jungen Menschen, aber die Bereitschaft reicht bei weitem noch nicht.“
Einer dieser 178 Azubis in NRW ist der 20 Jahre alte Mudasir Hussain Asadkhel aus Pakistan. Im Heimatland hat er die Schule mit der dortigen mittleren Reife abgeschlossen. Durch den sehr frühen Verlust der Eltern gab es für ihn keine Perspektive mehr im Heimatland und so begann seine zweijährige Flucht bereits im Alter von 17 Jahren. Er gelangte über den Iran in die Türkei, wo er mit Hilfe von Schleppern über das Mittelmeer Griechenland erreichte. Der Weg in Europa, als Anhalter auf dem LKW und zu Fuß, führte ihn über die Balkanroute nach Serbien und die Slowakei bis nach Deutschland. Im Juli 2015 kam er in Bayern an und wurde über Wiesbaden zu einer Asylunterkunft nach Reken weitergeleitet. Mudasir Hussain Asadkhel hat sich dort bereits früh für die Gemeinde Reken engagiert. Selbständig suchte er sich ein freiwilliges, unbezahltes Praktikum beim Benediktushof in Reken, um durch den Kontakt mit den Bewohnern der Behinderteneinrichtung Deutsch zu lernen und sich im Ort noch besser zu integrieren. Im Juni 2016 wandte er sich dann an Agentur für Arbeit in Coesfeld. In einer Qualifizierungsmaßnahme für junge geflüchtete Menschen verbesserte er seine Deutschkenntnisse weiter und lernte in dem integrierten Praktikum erstmals Berufe in der Gastronomie kennen. Seit dem 19. September 2016 absolviert Mudasir Hussain Asadkhel, unterstützt durch eine Assistierte Ausbildung, in der Domschenke Groll eine Ausbildung zum Koch. „Es gefällt mir sehr, Koch zu sein. Ich habe Spaß und eine eigene Wohnung. Es geht mir gut und ich habe keine Probleme.“ Mudasir Hussain Asadkhel ist angekommen und sein Leben entwickelt sich gut. „Er ist offen, geht auf Neues zu und hat eine Begabung für das Kochen. Er war vier Wochen bei uns im Praktikum und hat seine Liebe für den Beruf entdeckt“, erzählt Petra Groll. „Mein Mann war anfangs zurückhaltend, da wir bereits einen jungen Inder ausbilden, der auch fliehen musste. Mein Mann möchte für alle Auszubildenden gleichermaßen da sein und der Gedanke stand im Raum, ob er sich um die beiden zu intensiv würde kümmern müssen. Aber mir war Mudasir Hussain Asadkhel gleich so sympathisch, dass ich gesagt habe, komm, wir machen das. Und es war genau die richtige Entscheidung“, so Petra Groll weiter. „Besonders in der Gastronomie ist es schwer, den oder die Richtige für die Ausbildung zu finden. Wenn ich meinen Kolleginnen und Kollegen einen Rat geben soll, dann den, den jungen Leuten nach ihrer Flucht eine Chance zu geben. Man gibt sich damit ja auch selber eine Chance. Und jeman-den wie Mudasir Hussain Asadkhel wünscht sich jeder für das eigene Unternehmen.“
Weitere Zahlen, Daten, Fakten zur Entwicklung des Ausbildungsmarktes lesen Sie hier
Zusätzliche Informationen erhalten Sie auf der Kampagnen-Seite der Bundesagentur für Arbeit
Quelle: BA, Regionaldirektion NRW, 31. Määrz 2017